1. Welche Idee steht hinter dem „Jahr für Freiräume“und was bedeutet es für Sie persönlich?
Die Idee für dieses Jahr speist sich aus dem Sabbatgedanken. Im Neuen Testament gibt es eine Szene, in der die Jünger Jesu am Sabbat Ähren ausreißen, weil sie nach der langen Wanderung Hunger haben. Einige der jüdischen Gelehrten streiten mit Jesus darüber, ob diese Situation das Arbeitsverbot am Sabbat berührt oder nicht. Man konnte aus jüdischer Sicht hier unterschiedlicher Meinung sein. Jesus verweist in der Auseinandersetzung darauf, dass die göttlichen Gebote für den Menschen da sind und nicht umgekehrt. „Um des Menschen willen...“ sagt er.
Der Sabbat, oder in unserer Tradition der Sonntag, ist eine Form, vielleicht sogar eine Lebensform, dem Paradies nachzuspüren, der anderen Möglichkeit in unserer Welt. Es bedeutet, der biblischen Vorstellung nachzugehen, dass wir aus Gottes Sicht immer auch noch anders gedacht und gemeint sind, und wir uns nicht erschöpfen im Alltäglichen. Der Sabbat, diese heilige Unterbrechung, ist wie ein Fenster, dass geöffnet ist und dass ich offen halten muss, damit ich im Klein-Klein nicht vergesse oder gar nicht mitbekomme, worum es eigentlich im Leben geht.
Ich nehme dieses Jahr zum Anlass, mir die Freiheit zu nehmen, hier und da mal etwas genauer zu gucken, in welchen Zwängen ich mich befinde und ob diese wirklich so sein müssen und dem Menschen dienen. Ich ahne, dass wir auch in der Kirche Abläufe haben, die wir per se für „heilig“, für unveränderlich halten, weil sie mal wichtig waren, die es aber nicht mehr sind. Das können einfache Routinen oder normale Abläufe sein, die mich und andere bestimmen und die wir selbstverständlich hinnehmen.
Eigentlich geht es um den Zusammenhang von Reiz und Reaktion. Durch Victor Frankl habe ich diesen Gedanken kennengelernt: „Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.“ Als ich diese Sätze zum ersten Mal las, haben sie mich gepackt. Vielleicht, weil ich zu den Menschen gehöre, die manchmal sehr schnell, zu schnell, reagieren. Ein Telefonat, eine Frage, ein Gesprächszusammenhang..., und schon habe ich eine Zusage gemacht oder eine Meinung geäußert. – Es ist gar nicht so einfach, sich zu unterbrechen und zu sagen: “Stopp!“ oder „Moment, ich brauche noch etwas Zeit!“
Freiraum heißt deshalb für mich, Routinen zu unterbrechen. Kann ich mich meiner Kollegin oder meinem Gesprächspartner gegenüber auch anders verhalten? Gibt es eine Perspektive, die mich etwas neu entdecken lässt? – Es geht dabei nicht darum, alles anders zu machen. Es geht nur um diesen kleinen Moment innezuhalten und sich zu fragen, könnte es auch anders gehen, habe ich eine zweite oder dritte Möglichkeit zu handeln? Freiraum bedeutet für mich daher nicht so sehr, frei von etwas, sondern frei für etwas zu sein oder zu werden.
2. Wie gestalten Sie „Zeit für Freiräume“ im beruflichen Kontext?
Hier setzt sich die Idee fort, sich unterbrechen zu lassen. Ich möchte mich selbst unterbrechen in meinem Arbeitsalltag und werde deshalb vier bis fünf Wochen wenig Termine annehmen und stattdessen Pastoren und Pastorinnen in ihren Gemeinden vertreten bei Beerdigungen oder auch Gottesdiensten. Wir haben im Sprengel einige Regionen, in denen es durch nicht besetzte Pfarrstellen schon eng wird. Ich hoffe, es wird dadurch ein doppelter Freiraum, für die Kollegen und Kolleginnen wie für mich.
Dann möchte ich die Idee des Perspektivwechsels aufnehmen. Wir reden so viel von Digitalisierung und Beschleunigung. Ich will stattdessen das Analoge und Langsame in den Blick nehmen. „Lob des Analogen“ wird deshalb die kleine Veranstaltungsreihe heißen, in der ich mit Anderen erkunden werde, was durch das Digitale nicht ersetzt werden wird, der Kontakt im Frisiersalon z.B. Es geht gewissermaßen um einen Freiraum besonderer Art, nämlich um die technik-freie menschliche Beziehung.
Der alljährlich stattfindende Generalkonvent, die Versammlung aller Pastorinnen und Pastoren im Sprengel, wird anders sein als sonst. Mehr verrate ich nicht, nur so viel: die Teilnahme, die normalerweise verpflichtend ist, wird in diesem Jahr freiwillig sein. Ich bin gespannt, wie viele kommen werden (lacht)! –
Es ist eine großartige Chance, Anderes ausprobieren und sagen zu können: „Zeit für Freiräume!“, und ich hoffe, dass wir viele Menschen in den Gemeinden für diese Idee gewinnen können.
3. Wie werden Sie sich 2019 „Freiräume“ schaffen?
Ich freue mich auf Fortbildungen, die mir Perspektivwechsel ermöglichen werden. An manchen regelmäßig stattfindenden Sitzungen werde ich nicht teilnehmen, wenn ich mich darin für entbehrlich halte. Hoffentlich werde ich morgens früh etwas länger auf meinem Meditationsbänkchen sitzen und sagen können: das ist jetzt wichtiger. Und ich nehme mir vor, öfter mit dem Zug und dem Rad zu fahren und das Auto stehen zu lassen.