Einladung zum Feierabendkreis der Ev.-luth. Marienkirchengemeinde Ueffeln Neuenkirchen Merzen
Gemeindehaus der Kirchengemeinde St. Marien Üffeln
Stiegte 1, 49565 Bramsche-Ueffeln
Dienstag, 18. Juni 2019, 19.00 Uhr
Thema:
„Das Selbstverständnis und die Selbstfindung der Deutschen aus Russland – Geschichte, Erwartungen und Wirklichkeit“
Referent: Pfarrer Dr. Oliver Dürr
Koordination der Aussiedlerarbeit der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg
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„Bereits im Mittelalter ließen sich gut ausgebildete Deutsche in den Städten Russlands nieder, weil sie sich davon wirtschaftlichen Gewinn versprachen. Im 17.Jahrhundert wurde Fachleuten im Bereich Militärwesen, Medizin und Bergbau und auch Handwerkern die Möglichkeit gegeben, sich in den Städten anzusiedeln, um dort die Wirtschaft voranzutreiben.
Im 18.Jahrhundert wanderten in mehreren Schüben viele tausend Deutsche nach Russland ein. Teilweise um den schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen und kriegerischen Auseinandersetzungen in ihrer Heimat zu entgehen, teilweise auch, um ihren Glauben in den weiten Gebieten Russlands ungehindert leben zu können.
Man geht davon aus, dass bis 1862 insgesamt 100.000 Deutsche nach Russland ausgewandert sind, um sich dort als Bauern und Handwerker eine neue Existenz aufzubauen. Vor allem Mennoniten und Endzeitbewegte wanderten vorwiegend aus religiösen Motiven aus.
Der erste Weltkrieg und die Oktoberrevolution markieren eine tiefgreifende Veränderung im christliche Leben der Deutschstämmigen in Russland. Der öffentliche Gebrauch der deutschen Sprache wurde untersagt, in weiten Teilen Russlands wurden auch Predigten, Amtshandlungen und Grabreden verboten. Nur noch liturgische Gottesdienste waren erlaubt. Das gemeindliche Leben wurde zunehmend kontrolliert und eingeschränkt. Die Weitergabe des Glaubens an die nächste Generation war untersagt, so dass religiöse Erziehung nur noch im Geheimen in der Familie stattfinden konnte.
Mit dem Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges (1941) begannen Deportation, Verbannung, Zwangsarbeit und damit eine unvorstellbare Leidenszeit unter härtesten Lebensbedingungen. Die Russlanddeutschen galten wie schon im ersten Weltkrieg als mögliche Kollaborateure und Volksfeinde und wurden darum umgesiedelt. Ab August 1941 wurden sämtliche Deutsche, die sich nicht im deutsch besetzten Gebiet befanden, systematisch vertrieben und mit Schiffen und Güterzügen nach Sibirien und Kasachstan deportiert (etwa 700.000 Menschen). Dort gab es weder Unterkünfte noch ärztliche Versorgung noch Nahrungsvorräte. Entweder wurden sie der ortsansässigen Bevölkerung zur Beherbergung zugewiesen oder in unbesiedelte Steppe gebracht, wo viele Menschen im harten Winter 1941/42 verhungerten oder erfroren.
In den sowjetischen Verbannungsorten wurden ab Herbst 1941 alle arbeitsfähigen Männer und Frauen (im Alter von 16 bis 60 Jahren) zur Arbeitsarmee eingezogen, um im Berg- und Straßenbau, in der Schwerindustrie oder im Wald zu arbeiten. Als nach dem Krieg die Arbeitsarmee (Trudarmee) aufgelöst wurde, kehrten die Arbeitssoldaten an die Verbannungsorte zu ihren Familien zurück,
Trotz Vertreibung, Verfolgung, Arbeitslager und durch viel Leid und Not hindurch hat ein Teil der Russlanddeutschen an ihrem Glauben festgehalten. Als man ihnen alles nahm und sie auch ihre Bibel und ihr Gesangbuch nicht mehr behalten durften, haben sie sich an dem festgehalten, was sie auswendig wussten, und sich im geheimen gegenseitig das aufgesagt, was sie noch behalten hatten, um nicht noch mehr zu verlieren. Oder sie haben einige Blätter aus der Bibel oder aus dem Gesangbuch retten können, die sie dann gehütet und versteckt haben wie einen kostbaren Schatz.
Vor allem aus Mittelasien kommen die Aussiedler heute zu uns, weil der seit der Zerschlagung der Sowjetunion dort aufkeimende Nationalismus ihre Lebensbedingungen erneut erheblich verschlechtert hat.
Die Mehrheit der Aussiedler, die seit den 1990er-Jahren nach Deutschland ausgesiedelt sind und in unseren Dörfern und Städten Heimat gefunden haben, ist evangelisch - und zwar evangelisch-lutherisch - wie die Aussiedler zu sagen pflegen. Diese Menschen gehören in unseren Kirchengemeinden oft zu den treuesten Gottesdienstbesuchern.
Insgesamt hat sich bisher rund die Hälfte der Deutschen aus Russland (Kasachstan und weiteren Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion) bei ihrer Einreise als evangelisch, meistens lutherisch, gemeldet. Deutschlandweit schätzt man die Zahl der Russlanddeutschen innerhalb der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) auf 1,75 bis 2 Millionen.
Damit ist beinahe jeder 40. Deutsche aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten eingewandert und stand vor der Situation, sich in einer anderen Kultur orientieren und behaupten zu müssen.
Da Spätaussiedler deutsche Volkszugehörige sind, haben sie einen Anspruch auf die deutsche Staatsangehörigkeit und damit alle Vorteile, Rechte und Pflichten, die ein deutscher Pass beinhaltet.
Dies unterscheidet sie von allen anderen Einwanderern, welche die deutsche Staatsangehörigkeit erst erwerben müssen. Spätaussiedler gelten somit von Anfang an nicht als Ausländer. Dennoch kennen auch sie die Problematik, sich eingliedern zu müssen, denn ein deutscher Pass allein reicht für eine gelingende Integration nicht aus. Mittlerweile ist bereits die vierte Generation bei uns heimisch geworden und damit sind elementare Grundsatzfragen verbunden:
Was wissen wir heute von der tragischen Geschichte der Deutschen in der UdSSR? Wie stehen wir zu der Selbstverpflichtung, Aussiedler deutscher Abstammung auch in Zukunft bei uns aufzunehmen?
Welche Wege führen zu gegenseitigem Verständnis, zu einem lebendigen Dialog und zu einer gelungenen Integration?
Wie lernen wir, die Erfahrungen der Russlanddeutschen nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung unserer Kultur wahrzunehmen?
Wie stellen wir uns das Leben und die Zukunftsperspektiven der in Russland und Zentralasien verbliebenen Deutschen vor?
Quelle: Zusammenfassung verschiedener Veröffentlichungen und Texte (Uwe Schrader)